Wenn im alltäglichen Sprechen von Genres die Rede ist, dann werden diese oftmals als Textsorten verstanden, die sich über ihre Inhalte und formale Marker taxonomisch sortieren lassen. Wenn wir uns allerdings ernsthaft fragen, warum wir z.B. heute Abend Lust auf eine Romantic Comedy, einen Horrorfilm oder einen Actionfilm haben, dann merken wir schnell, dass es uns dabei eben nicht auf die dargestellten Figuren und Handlungen ankommt, sondern vor allen Dingen auf ein bestimmtes Erleben. Daher halten wir es für notwendig, eben nicht von so etwas wie Konventionen und Ikonographien von Genres auszugehen. Es gilt vielmehr, sie als generische Formen des Empfindens zu adressieren und die Entscheidung für den abendlichen Medienkonsum auch als eine zu verstehen, die eine affektökonomische Selbstwirksamkeit entfaltet, die letzen Endes nicht nur die individuelle Befindlichkeit betrifft, sondern sich an eine Dimension von unbestimmter Kollektivität anschließt.
In diesem Verständnis von Genre als einem System unterschiedlicher expressiver Modalitäten, welche die Zuschauer:innen affektiv adressieren und in einer gemeinschaftlich geteilten Empfindungswelt verorten, halten Filme für uns die Erfahrung bereit, dass wir auf höchst unterschiedliche Weise mit einer unbestimmten Pluralität anderer affektiv verwoben sind. Die Beiträge in dieser dritten Ausgabe von mediaesthetics nehmen alle eine affekttheoretische Perspektive zum Ausgangspunkt, um verschiedene Facetten des Genrebegriffs in einzelnen Fallstudien neu zu fassen. Dabei stehen sehr verschiedene Ansätze und Fluchtlinien in einem produktiven Austausch:
Lässt sich aus der gemeinsamen affektiven Modalität des Abjekten so etwas wie ein filmisches Genre im Kontext des Autoren-, Welt- und Festivalkinos ausmachen?
In seinem weitreichenden Überblick über verschiedene Tendenzen des europäischen Autorenkinos der Gegenwart und ihrer historischen, ökonomischen und sozial-politischen Verstrebungen, denkt Thomas Elsaesser darüber nach, inwiefern ein „Kino der abjekten Affekte“ den Schwebezustand globaler Krisenphänomene greifbar macht.
Kann man zeigen, wie ein Genre sich entwickelt und aktualisiert, indem es seinen affektdramaturgischen Bausteinen einen neuen Typus narrativer Situation und affektiver Adressierung hinzufügt?
Robert Burgoyne untersucht DUNKIRK (Christopher Nolan, UK/USA/F/NL 2017) als einen Kriegsfilm, in dem unterschiedliche Narrative, unterschiedliche Affektdramaturgien des Genres miteinander montiert werden und daraus ein neuer Modus der ästhetischen Erfahrung audiovisueller Kriegsdarstellung hervorgeht.
Ist es möglich, filmanalytisch nachzuweisen, wie einzelne Genrefilme aus unterschiedlichen Modalitäten audiovisueller Inszenierung komponiert sind, welche selber einer Pluralität von Genres zugeordnet werden können und wie das Zusammenspiel solcher unterschiedlicher expressiver Modalitäten eine Erfahrung der sozialen, kulturellen und vor allem historischen Verortung des Filme-Sehens selbst herstellt?
Matthias Grotkopp versucht in seinem Beitrag diese affekttheoretische Perspektive auf Genrekino herzuleiten und am exemplarischen Beispiel eines ARD-Polizeirufs von Christian Petzold zu zeigen, inwiefern Genrefilme als Verzweigungen und Transformationen unterschiedlicher Genremuster zu fassen sind.
Der Beitrag von Danny Gronmaier argumentiert, dass die scheinbar reaktionäre, nostalgische Weltsicht des Hollywood-Sportfilmgenres sich anders darstellt, wenn man nicht die erzählten Geschichten, sondern die genaue Analyse der affektiven Adressierung der Zuschauer:innenerfahrung in den Vordergrund stellt. Dann wird die Geschichte der Ein- und Ausschließungen als eine andauernde, permanente verstanden und die Fantasie des „früher war alles besser“ als genau eine solche kulturelle Fantasie greifbar, die sich immer nur im Modus des Konflikts realisiert.
Und sollte man schließlich nicht nur die Poetik, sondern auch die Affektrhetorik audiovisueller Bildinszenierung generisch fassen können, gerade da, wo es um sehr konkrete Interventionen in sich dynamisch entfaltende Formierungen eines politischen Selbstverständnisses geht?
Das CDU-Video des Youtubers REZO, das 2019 große Furore gemacht hat, erscheint in der detaillierten Analyse von Jasper Stratil eben nicht nur als eine Ansammlung starker Thesen zur Sozial- und Umweltpolitik sondern vor allem als eine spezifische audiovisuelle Anordnung eines affizierenden Sprechens in einer konkreten rhetorischen Situation.